Erich Piskernig Erich Piskernig

Weniger Ego = mehr Lebendigkeit

Es beginnt alles mit einer Idee.

February 2, 2020

Ich schreib hier mal aus meinem Alltag als Yogalehrer. Da es immer wieder Situationen/Personen gibt, die mich über einen längeren Zeitraum beschäftigen. 

Eine dieser Situationen hat sich vor kurzem, in einer gut besuchten Yogaklasse zugetragen: Zu Beginn jeder Stunde (wenn neue Personen anwesend sind) stelle ich mich vor, sage dass es anstrengend werden kann, jeder auf sich achtgeben und wenn nötig eine Pause machen soll.

Ich starte die Klasse mit mobilisierenden Übungen und Sonnengrüßen zum Aufwärmen. Nach ca. 20 Minuten, werde ich von einer teilnehmenden Person gefragt, ob ich nicht ein Fenster öffnen könnte. Ich verneine freundlich und führe meinen Unterreicht fort, da ich der Meinung bin, meine Priorität als Lehrer muss es sein meine Aufmerksamkeit auf die ganze Klasse zu richten und nicht den Bedürfnissen einer einzelnen Person nachzukommen. 

Das diese Frage hin und wieder vorkommt, ist an sich nichts Ungewöhnliches, nachdem ich freundlich verneine wird es aber für gewöhnlich akzeptiert. In dieser Klasse war dem nicht so. Die Person, von der ich hier schreibe, hat nach meinem Nein als Antwort den Raum verlassen und dabei die Tür offengelassen, was ich erst bemerkte als es kühl wurde, woraufhin ich die Tür schloss. 

Daraufhin kommt die Person wieder in den Raum und lässt die Tür abermals offen. Ich schließe die Tür wieder. Die gleiche Person verlässt nach einigen Minuten wieder den Raum und……. lässt die Tür offen. Das Ganze wiederholt sich dann noch 4- oder 5-mal im Verlauf der restlichen Einheit. 

Einer der Dinge, die ich gut an mir finde, ist dass ich in solchen Situationen sehr souverän bleiben kann und meine Aufmerksamkeit bei der restlichen Klasse bleibt. Wenn die Klasse aber zu Ende ist und ich aus dem Studio gehe, merke ich wieviel Energie mich diese 90 Minuten gekosten haben und ich denke: WTF war da los?

Was war da los?

Am Heimweg, der etwas länger ist, habe ich dann die Gelegenheit solche Situationen hobbypsychologisch zu analysieren. 

Ihr kennt es vielleicht, wenn ihr z.B. bei der Meditation stillsitzen sollt und genau dann beginnt es irgendwo zu jucken, du musst niesen oder es beginnt sogar an einer Körperstelle zu schmerzen. Da meldet sich dein Ego, dem es gar nicht recht ist, nicht mehr im Mittelpunkt zu sein. Noch schlimmer ist es wahrscheinlich, dass dir irgendwer gesagt hat, dass du jetzt stillsitzen, atmen und dich nicht bewegen sollst.

Was ist das Ego überhaupt?

Dein Ego ist dein Selbstbild, dass du entwickelt hast, indem du dich mit einer Rolle identifizierst. Diese Rolle wird von deiner Umgebung, deinem Beruf, Titel, dem was andere Leute über dich sagen …. geprägt.

Wenn jetzt jemand versucht dieses Rollenbild zu durchbrechen, fühlt sich dein Ego angegriffen und geht in den Battle-Mode. (Ich lass mir nicht sagen, dass ich kein Fenster aufmachen darf, stillsitzen soll, etc.)

 Je größer und starrer dein Ego ist, desto schneller fühlst du dich angegriffen und verletzt und umso weniger kannst du aus deinen Mustern und deiner Rolle ausbrechen, um etwas zu tun was nicht deinem Selbstbild entspricht.

Um aber neue Dinge zu erfahren, deinen Horizont zu erweitern, mehr Lebendigkeit und Lebensfreude zu erfahren, muss auch dein Ego flexibler werden.

Yoga bedeutet also nicht nur du kannst dir die Beine hinter den Kopf schnallen. Der schwierigere Part - die wahre Praxis - besteht darin dich selbst zu reflektieren. Zuerst bei der Asanapraxis, dann der Meditation … letztendlich immer und überall, um festgefahrene Muster zu erkennen und diese zu durchbrechen, indem du deine Komfortzone verlässt und Dinge tust, die nicht deinem derzeitigen Rollenbild entsprechen.

 Falls die Person, die ich zu Beginn erwähnt habe, das hier lesen sollte, oder solltest du dich hier selbst wiedererkennen: Versuche beim nächsten Mal nicht gleich zu agieren, sondern frage dich selbst: 

·      Wie kann ich respektvoll mit dieser Situation umgehen?

·      Was hindert mich daran das Nein zu akzeptieren?

·      Brauch ich jetzt wirklich dieses offene Fenster?

·      Will ich wirklich mein Bedürfnis allen anderen Personen im Raum aufzwängen? 

·      Was hindert mich daran wie empfohlen Pause auf der Matte zu machen (rechtzeitig)?

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